top of page

An immoral offer

Kim Posse

Deine Prota wird auf der Straße angesprochen, um Werbung gegen eine hohe Bezahlung zu machen. Findet es statt? Für welches Produkt wäre die Bereitschaft da?

Über meine Haare habe ich eigentlich noch nie mit jemandem gesprochen, denn sie haben eine Besonderheit: sie wehen selbst bei Windstille, als befände ich mich in einem Orkan. Das klingt jetzt sicher komisch, aber ich habe es mir schließlich nicht ausgesucht. Diesen Fluch habe ich seit meiner Geburt. Beim Frisör kam ich zwangsläufig nicht um dieses Thema herum. Heute musste ich mich auf diese Konfrontation einlassen.

„Frau Possible?“, fragte der Frisör, „herzlich willkommen. Ich bin der Inhaber, Tom Schneider. Wissen Sie schon, wie Sie Ihre Haare möchten?“

„Etwas kürzen und vielleicht einen Stufenschnitt, wenn das geht.“ Ich blätterte in einem der Hefte vor mir herum und deutete auf eine Frisur, die mir zusagte.

„Natürlich geht das.“ Er lächelte und zog seine Schere hervor. „Mit oder ohne Waschen?“

„Ich … bitte erschrecken Sie nicht. Könnten Sie möglicherweise die Schere kurz wegstecken?“ Ich sah mich im Laden um. Aktuell war ich die einzige Kundin. Die letzte lief gerade nach draußen.

„Wovor sollte ich mich denn erschrecken? Stinken Ihre Haare etwa?“

„Nein, es ist …“ Ich öffnete meine hochgebundene Frisur und augenblicklich wehten die Haare wie im größten Sturm umher.

„Huch, was ist das denn? Sind irgendwelche Fenster offen?“ Irritiert sah sich der Frisör um.

„Nein, das ist bei mir normal. Meine Haare wehen immer herum. Daher sollten Sie die Schere wegstecken“, gestand ich.

„Verstehe, aber das sollte kein Problem sein. Ich versuche mein Bestes, um Sie glücklich zu machen.“ Sein Lächeln kehrte nun wieder zurück und er zog seine Schere hervor. Dann zog er nacheinander ein paar Strähnen nach unten und schnitt sie ab. Dies wiederholte er mehrmals, dann sah ich ihn zufrieden nicken.

„Hat es geklappt?“, wollte ich wissen. Meine Stimme war sehr dünn.

„Besser als gedacht. Schauen Sie sich mal im Spiegel an. Sie werden begeistert sein.“ Er drehte den Stuhl so, dass ich bequem in den Spiegel blicken konnte. Er zog meine Haare nach unten, damit ich den Schnitt bewundern konnte. „Gut so?“

Ich nickte. „Vielen Dank, dass Sie das so gut aufgenommen haben. Mein voriger Frisör in England musste eine Woche beurlaubt werden.“

Da fing Tom Schneider an zu lachen. „Aber so ein paar wehende Haare sind doch nichts Schlimmes. Natürlich sind sie sehr ungewöhnlich, aber ich habe kein Problem damit. Sie können gerne öfters kommen.“

„Ich bin Ihnen so dankbar“, erklärte ich und fuhr mir über meine frisch geschnittenen Haare. Dann band ich sie wieder nach oben. Tom schien enttäuscht.

„Aber so sieht man Ihren wunderbaren Haarschnitt doch überhaupt nicht. Stehen Sie zu ihren Haaren. Sie sind sehr besonders.“

„Das ist leider leichter gesagt als getan. Die Menschen reagieren auf Fremdes ebenso hysterisch wie auf eine Gefahr. Das habe ich schon oft genug erlebt. Das brauche ich nicht noch einmal.“ Mir schossen nacheinander sämtliche Geschehnisse in den Kopf, die ich wegen meinen Haaren hatte durchmachen müssen.

„Das kann ich verstehen. Ich finde es trotzdem Schade. Wollen Sie Werbung für meinen Frisörsalon machen?“ Er breitete seine Hände aus, als würde er einen großen Schriftzug nachzeichnen. „Frisörsalon Haar-Schneider. Wir schneiden selbst die wildesten Frisuren. Dann kommen Sie ins Bild und öffnen Ihre Haare. Wäre das nicht wunderbar?“ Toms Augen leuchteten.

Ich rümpfte die Nase. „Eher nicht. Ich würde nun gerne zahlen.“

„Ach, Sie müssen doch heute nichts zahlen. Sie sind Neukunde und zudem einzigartig. Vielleicht überlegen Sie es sich noch mit dem Werbespot. Ich wäre Ihnen sehr verbunden.“

„Sicher nicht! Den können Sie schön allein machen! Ich lasse mich doch nicht bloßstellen! Was denken Sie, wenn ich im Fernsehen gezeigt werde? Ich werde ausgestellt wie ein Alien. Das mache ich nicht mit!“

„Sie bekommen auch ein gutes Honorar!“, sicherte er mir zu.

„Auch für eine Million würde ich das nicht machen!“, gab ich entrüstet zu.

„So viel kann ich Ihnen leider nicht bieten, aber wären Sie mit 1.500 Euro einverstanden?“, schlug er vor.

„Nein! Akzeptieren Sie das bitte. Ich lasse mich nicht zur Schau stellen!“ Ohne ein weiteres Wort schnappte ich meine Sachen und verließ den Laden. Gezahlt hatte ich nicht, aber schließlich hatte er es mir angeboten. Und für diese Unverschämtheit sah ich es ohnehin nicht ein, zu zahlen.

bottom of page