Basilika Sacré-Cœur
Kim Posse
Deine emotionalste Figur sitzt in einem Café in der Nähe des Montmartre. Die Stadt der Liebe lockt. Was passiert?
Ich saß in einem Café am Fuße des Montmartre. Viele Passanten ließen sich von der Stadtseilbahn hinauf zur Basilika Sacré-Cœur, einer römisch-katholischen Wallfahrtskirche, bringen.
„Bonjour, qu'est-ce que je vous sers?“, sprach mich ein junger Mann mit Schütze an. Er musste wohl der Kellner sein.
„Äh, was?“, fragte ich verdutzt nach. Ich hatte kein Wort verstanden.
„Ah, allemand. Ich habe gefragt, was Sie bestellen wollen?“, erklärte er mir nun auf Deutsch. Sein Blick aus rehbraunen Augen ruhte sanft auf mir. Allein dadurch, dass er mich anschaute, fühlte ich, wie sich ein wohlig kribbelndes Gefühl in meinem Bauch ausbreitete.
„Was würdest du mir empfehlen?“, brachte ich mühsam hervor. Dass ich ihn geduzt hatte, fiel mir erst auf, als ich es schon gesagt hatte. „Oh, Entschuldigung, dass ich zu dir du gesagt habe.“
„Schon gut, ich heiße Alexandre.“ Er lächelte mir zu. „Du warst noch nie hier, oder?“, wollte er wissen.
„Nein, woher weißt du das?“
„Du kannst kein Französisch“, erklärte er und lachte herzlich. Ein weiteres Mal schenkte er mir einen seiner warmherzigen Blicke.
Ich schmolz unter seinem Blick geradezu dahin.
„Wie heißt du?“
„Was?“ Erschrocken richtete ich mich auf.
„Wie heißt du?“, wiederholte er geduldig, ebenso lächelnd wie zuvor.
„Kim. Ja, ich heiße Kim. So haben mich meine Eltern genannt“, plapperte ich wild drauflos. Mir war es zum ersten Mal peinlich, doch meine Zunge schien mir nicht mehr zu gehorchen.
„Freut mich. Nun“, er tippte auf die Speisekarte, „ich kann dir die Tartelettes d'amour empfehlen.“
„Was ist das?“, wollte ich wissen.
„Auf Deutsch sagt man, glaube ich, Liebes-Törtchen“, übersetze er es mir.
„Ja, das nehme ich“, hauchte ich. Mir war es gleich, was es letztlich war.
Kurz darauf brachte mir Alexandre auf einem kunstvoll gerichteten Teller ein Stück Kuchen in der Form eines Herzens. Kleine Herzen aus Zuckerguss unter einem Hauch von Kakaopulver waren auf dem Teller verteilt. Eine knallrote Kirsche zierte das Kuchenstück.
„Oh, wie schön“, freute ich mich und probierte sogleich. Das Geschmackserlebnis, das sich im nächsten Augenblick in meinem Mund entfaltete, haute mich fast um. Noch nie hatte ich so einen leckeren Kuchen gekostet.
„Und?“, wollte Alexandre wissen.
„Wow, schmeckt der lecker!“, staunte ich und aß schnell einen weiteren Bissen. So und nicht anders musste Liebe schmecken! Darin war ich mir zu hundert Prozent sicher.
„Hast du Lust“, setzte Alexandre zögerlich an, „dass ich dich später etwas herumführe? Wir könnten zusammen zur Basilika Sacré-Cœur gehen.“
„Nichts lieber als das“, gluckste ich überwältigt vor Glück. Mit dem liebsten und schönsten Jungen der Welt die Stadt der Liebe anzuschauen, konnte nur ein Traum sein.
„Ich habe zwar in einer viertel Stunde Feierabend, aber ich mache heute früher Schluss. Dann zeige ich dir die Ville de l'amour“, versprach er mir. „Iss in Ruhe fertig, ich warte auf dich.“
Vor Aufregung schaffte ich es kaum noch, das restliche Stück zu essen. Zu schön war die Vorstellung, gleich mit Alexandre die Stadt zu besichtigen.
„Ich habe uns ein Ticket für die Funiculaire de Montmartre geholt. Mein Onkel arbeitet dort, daher kostet es mich nichts.“
„Was ist dieses Funi-Dings?“, wollte ich wissen.
„Das ist eine Standseilbahn. Damit kann man bequem den Berg hochfahren und muss nicht laufen. Weißt du, während meiner Arbeit bin ich genug gelaufen, da muss ich nicht noch die Treppen hochsteigen.“ Er musste lachen.
Oben angekommen, stand die Basilika wie ein weißer Tempel vor mir, der mir im ersten Moment die Sprache verschlug.
„Was für eine unverwüstliche Hässlichkeit!“, sagte gerade eine Touristin neben mir. Sie schien nicht im Geringsten beeindruckt zu sein. „Potthässlich, dieser weiße Steinhaufen!“
Erschrocken blickte ich sie an, sagte jedoch nichts.
Alexandre nickte mir nur wissend zu, als ich ihn ansah. „Das sagen leider viele. Trotz des ehrfurchtsvollen Erscheinungsbildes mit ihren vielen Skulpturen und Mosaiken wurde die Basilika lange Zeit selbst in Reiseführern als äußerst hässlich und stillos beschrieben.“
„Das kann ich gar nicht verstehen“, gestand ich.
Alexandre blickte auf die Uhr, dann grinste er.
„Was ist?“, wunderte ich mich, da ich daraus nicht schlau wurde. „Müssen wir schon zurück?“
„Nein, keine Sorge. Lass dich überraschen.“
„Womit?“
„Du bist wirklich ungeduldig“, erkannte er lachend. „Das ist echt süß!“
Da erklang ein ohrenbetäubender Glockenschlag, der mich zusammenzucken ließ.
„Das ist Savoyarde, die größte Glocke in diesem Turm.“ Begeistert deutete er hinauf zum Turm. „Vom Café aus kann man sie perfekt hören. Wenn sie schlägt, weiß ich immer, dass ich Feierabend habe.“
„Ah, darum hast du heute eine viertel Stunde früher fertig gemacht“, verstand ich nun. „Du wolltest mit mir hier oben sein, wenn diese Monsterglocke bimmelt.“
„Ganz recht. Gefällt es dir?“, wollte er wissen.
„Und wie!“ Ich nickte begeistert. „Ich würde dich jetzt so gerne umarmen, dabei kennen wir uns noch gar nicht lange“, rutschte es mir schneller heraus als ich wollte.
„Dann mach das doch.“ Er zwinkerte mir zu.
„Wirklich?“, versicherte ich mich, dass ich es mir nicht nur eingebildet hatte.
„Oui, umarme mich!“, stimmte er mir zu und breitete seine Arme aus.
Mit den Glockenschlägen der Basilika Sacré-Cœur sank ich immer tiefer in seine Arme und genoss einfach den Moment. Es war einfach perfekt!
„Tu est mon bonheur.“ Du bist mein Glück, hauchte er mir ins Ohr, während ich in seinen Armen lag und die Augen schloss.
„Oui“, antwortete ich flüsternd. Es war eines der wenigen Worte, die ich auf Französisch kannte. Verstanden hatte ich ihn nicht.