top of page

CSD: Christopher Street Day

Vera Sturm

Vera, Dina und Kim tauchen in die bunte und große Vielfalt der queeren Community ein und wollen alles darüber lernen, indem sie den CSD besuchen.

LGBTQIA+, eine Community, die nicht vielfältiger sein kann. Gerade bereitete ich mich dafür vor, einen Artikel darüber zu schreiben, da bald eines der bedeutendsten Events des Jahres für die queere Community anstand.

„Heute ist der CSD“, erzählte ich meinen Freundinnen.

„Der wer?“ Irritiert guckte mich Kim an. „Ist das nicht eine Partei? Christlich soziale Demokratie?“

„Du meinst wohl die CDU – Christlich demokratische Union“, verbesserte ich sie lachend.

„Oder eben die. Und was ist nun dieser CSD?“, hakte Kim ahnungslos nach.

„Das ist der Christopher Street Day“, erklärte ich ihr. „An diesem Tag gehen alle Menschen auf die Straße und feiern, setzen sich für Gleichberechtigung in der Liebe ein und zeigen, ihren Einsatz auch im politischen Sinne. Die queere Community, zu der unter anderem schwule Männer und lesbische Frauen, bisexuelle und transsexuelle Menschen gehören. Aber das ist nur ein Bruchteil von dem, was die queere Community ausmacht.“

„Gibt es da nicht diese ellenlange Abkürzung?“, wollte Dina wissen.

„Du meist LGBTQIA+?“ Ich hatte lange gebraucht, mir diese Buchstabenreihe zu merken. Doch inzwischen kannte ich nicht nur die Reihenfolge, sondern auch die Bedeutung jedes Buchstaben.

„Genau die“, sagte Dina schnell. „Das ist echt krass, es kommen immer mehr Buchstaben hinzu. Kennengelernt habe ich es als LGBTQ. Was ist, wenn die Buchstaben einmal nicht mehr ausreichen?“

„Das noch lange nicht.“ Zumindest hoffte ich das. „Ansonsten gibt es ja auch noch Zahlen und andere Symbole. Diese Community ist eben sehr vielfältig und vertritt unglaublich viele Personengruppen.“

„Wieso kennst du dich damit überhaupt so gut aus?“, wunderte sich Kim. „Ich meine, meine WG-Mitbewohnerin steht auf Frauen, und wahrscheinlich weiß nicht einmal sie so viel darüber.“

„Ich habe viel recherchiert“, erzählte ich. „Ich darf den CSD begleiten, Leute interviewen und einen Artikel darüber schreiben. Darauf bin ich schon sehr gespannt. Und um auf Lisa zurückzukommen: Ich glaube, dass sie bedeutend mehr weiß aus du denkst. Wahrscheinlich redet sie nur nicht so viel darüber.“

„Kann gut sein“, meinte Kim, „bei uns geht es um ganz andere Themen. Wer kochen muss, zum Beispiel.“

„Ich finde es ja wahnsinnig spannend und toll, dass so viele Parteien vertreten sind, aber all das zu lernen ist echt anstrengend“, gab ich stöhnend zu und begann aufzuählen: „a_sexuell, bisexuell, demisexuell, lesbisch, schwul, genderfluid, nonbinär, heterosexuell, intersexuell, pansexuell, polysexuell, …“

„Genug, mir raucht jetzt schon der Kopf. Herrje, ist das viel“, fand Kim. „Und das hast du alles gelernt?“

Ich nickte. „Das war noch lange nicht alles. Ja, das habe ich alles gelernt – mit dazugehöriger Flagge.“

„Hä? Haben nicht nur Länder Flaggen?“, wunderte sich Kim.

„Nein, das DRK oder die DLRG haben auch Flaggen“, nannte ich ein paar Beispiele. „Sobald etwas auf einem bedruckten Stoff im Wind weht, ist es ja bereits eine Flagge. So hat theoretisch jeder Supermarkt seine eigene Flagge.“

„Uff, mein Hirn beginnt gerade zu schmelzen, von so viel Information.“ Überfordert fächelte sich Kim etwas Luft zu.

„Mir geht es ähnlich, aber ich finde es dennoch sehr interessant“, fügte Dina hinzu.

Vera: Wenn man sich genauer damit beschäftigt, ist es gar nicht mehr so schwer. Zum Beispiel die Polyamorie. Es lässt sich leicht herleiten, dass damit viele – poly – Liebhaber – amore – gemeint sind. Also eine Beziehung mit mehr als zwei Personen. Bisexuell ist noch einfacher erklärt. Wie bei bilingual – zweisprachig –, steht eine bisexuelle Person sowohl auf Männer als auch auf Frauen.“

Kim bekam große Augen. „So etwas gibt es? Das ist ja interessant. Ich könnte es mir nicht vorstellen.“

„Genauso wenig kann sich eine bisexuelle Person vorstellen, nur auf ein Geschlecht zu stehen“, brachte ich ihr sofort die andre Sichtweise nahe.

„Wahnsinn, du erklärst es so, als wäre es ganz einfach“, lobte sie mich.

„Wenn man sich ein wenig damit auseinandersetzt, ist es gar nicht so schwer.“ Und je länger ich mich damit beschäftigte, umso spannender fand ich es auch. Wie bei einem Geflecht aus Wollfäden, die man Stück für Stück entknotete, tauchte ich immer tiefer in die queere Community ein und begann zu bereifen, wie viele Variationen und Gruppen es gab. Bewusst hatte ich ihnen nicht noch erklärt, dass es auch Drag Queens gab, denn über diese wusste ich noch nicht ganz so gut Bescheid und ich wollte auch nichts Falsches sagen. Ich wusste nur, dass sie durch ihr provokatives Auftreten sowohl die Kunst als auch politische Absichten im Sinn hatten. Das fand ich großartig.

„Und jetzt noch eine dumme Frage“, setzte Kim an, „was bedeutet dieses LGQRTZ?“

„LGBTQIA+“, verbesserte ich sie lachend. „Das ist ganz einfach. Jeder Buchstabe steht für eine andere Orientierung: Lesbisch, Gay – beziehungsweise schwul, wie es im Deutschen heißt –, Bisexuell, Transgender, Queer, Intersexuell, A_sexuell und mehr.“

„Wahnsinn. Also die ersten Bezeichnungen kenne ich, über die anderen muss ich mich noch genauer erkundigen“, gestand sich Kim ein. Ich konnte ihr ansehen, dass sie das Thema immer mehr interessierte. Bestimmt würde sie ihre lesbische Mitbewohnerin zuhause mit Fragen löchern, um alles in Erfahrung zu bringen. Diese tat mir jetzt schon leid.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr mich auf den CSD begleiten“, bot ich meinen Freundinnen an. „Ich muss nämlich einen Artikel darüber schreiben und darf die Leute interviewen. Darauf freue ich mich schon. Die Vorbereitung hat auch lange genug gedauert.“

„Sehr gerne, ich bin auf jeden Fall dabei“, freute sich Kim und grinste breit. „Ich mache ganz viele Fotos.“

„Kim, dir ist schon klar, dass wir nicht in den Zoo gehen. Das sind ganz normale Menschen, die einfach eine andere Orientierung haben als du und ich“, machte ich ihr klar. Bei Kim wusste man nämlich nie genau, was auf einen zukam. „Du wirst – wenn sie sich nicht gerade überauffällig anziehen – niemandem ansehen, ob er oder sie auf Männer oder Frauen steht.“

„Oh“, sie zögerte kurz, „natürlich, das war mir schon von Anfang an klar!“

„Sehr schön“, sagte ich erleichtert.

„Ich komme auch mit“, schloss sich Dina an. „Ich bin gespannt, was da los sein wird.“

„Dann los, worauf warten wir noch?“ Ich schnappte meinen Notizblock und einen Stift, dann verließen wir die Wohnung.


Bunte Flaggen, viele Menschen, der CSD war ein unglaubliches Event, das auch als Familienfest eine schöne Veranstaltung war.

Ich sah mich um und ging noch einmal grob die Fragen durch, die ich stellen wollte. Das tat ich immer, um so gut wie möglich auf meine Interview vorbereitet zu sein.

„Darf ich auch jemanden interviewen?“, fragte Kim.

„Du? Wieso das?“ Ich hielt es für eine nicht so gute Idee, schließlich musste man bei Kim immer mit Überraschungen rechnen.

„Ich spreche gerne Leute an, nun habe ich einen Grund dazu“, freute sich Kim.

Das wusste ich nur zu gut. Kim hatte eine lose Zunge, wie ich leider oft genug feststellen musste.

„Interviews bedürfen eine gewisse Vorbereitung. Du weißt nichts über das Thema“, machte ich ihr klar.

„Das schaffe ich schon“, versicherte sie mir und machte eine abwinkende Bewegung mit ihrer Hand. „Schließlich heißt es nicht umsonst, dass man durch Fehler lernt.“

„Nur müssen Fehler gar nicht erst passieren“, wandte ich leicht panisch ein. „Eigentlich müsste der Spruch wie folgt lauten: Aus den Fehlern der anderen lernt man. So musst du sie gar nicht erst selbst machen.“

„Okay, aber irgendwann muss ich ja üben“, beharrte sie.

„Wofür? Willst du Reporterin werden?“ Ich war geschockt über diesen Gedanken. Nichts gegen Kim, ich mochte sie wirklich sehr, aber ich bezweifelte, dass das auf Dauer gutging.

„Wieso nicht?“, wollte Kim wissen. „Hat du Angst, ich mache dir deinen Platz in der Presse streitig?“

„Bei dir mache ich mir da keine Sorgen“, ließ ich sie wissen, dennoch wollte ich nicht Kim als Kollegin haben.

„Dann los“, rief sie mir freudig zu.

„Aber die erste Person interviewe ich!“, wies ich sie an. „So kannst du noch einmal gucken, wie das geht.“

Ich hielt Ausschau nach ein paar Leuten, die nicht mitten im Gedränge waren, um etwas Ruhe zu haben. Bald fand ich zwei junge Männer, die händchenhaltend nebeneinander standen.

„Hallo“, sprach ich sie an, „ich heiße Vera und bin von der Presse. Ist es okay für euch, wenn ich euch ein paar Fragen stelle?“

„Hallo, freut mich“, sagte der kleinere von beiden. Um seine Schultern hatte er eine Regenbogenfahne gelegt und er strahlte über das ganze Gesicht.

„Wie gefällt euch der CSD?“, startete ich mit einer leichten Frage, um mich langsam anzunähern. Das war wichtig, um nicht sofort zu übereifrig die Leute zu überfallen. Das war mir auch schon passiert. Aus diesem Fehler hatte ich allerdings gelernt!

„Großartig!“, schwärmte er und grinste noch breiter. „Ich bin gerne hier. So habe ich tatsächlich auch meinen Freund kennengelernt“, erzählte er bereitwillig.

„Was für eine schöne Geschichte“, fand ich und freute mich innerlich sehr. So musste ich nicht danach fragen.

„Danke“, meinte er lachend. Sein Freund hatte bis jetzt nur zugehört.

„Und wie lange seid ihr schon zusammen?“

„Auf den Tag drei Jahre.“

„Verrückt. Also ward ihr direkt zusammen, als ihr euch kennengelernt habt?“, fragte ich etwas taktlos, was mir erst auffiel, als ich es schon gesagt hatte.

„Nein“, er lachte laut auf, „wir haben uns ein Jahr lang als gute Freunde getroffen und immer besser kennengelernt. Bald wussten wir, wir gehören zusammen und was bot sich besser an als der CSD, um zusammenzukommen?“ Er lächelte seinen schweigsamen Freund an, der nur stumm ein Lächeln erwiderte.

„Vielen Dank, ihr beiden“, sagte ich, „dann wünsche ich euch noch viel Spaß!“

Danke, ich euch auch. Viel Erfolg mit deinen Interviews“, wünschte er mir.

„Danke.“

Die beiden schlossen sich wieder der Menge an und bald waren sie verschwunden.

„So, nun bin ich am der Reihe“, beschloss Kim. „Hast du noch einen Tipp, den du mir mit auf den Weg geben möchtest?“

„Du hast bei mir gesehen, dass ich mich langsam herangetastet habe. Platze nicht gleich mit einer zu persönlichen Frage am Anfang heraus. Das kommt nicht gut an. Und immer freundlich bleiben!“, bläute ich ihr ein.

„Ich bin immer freundlich!“, entgegnete Kim trotzig.

„Und ganz wichtig! Frage auf keinen Fall einen schwulen Mann, ob er der Mann oder die Frau in der Beziehung ist!“, machte ich ihr klar. „Da habe ich schon die verrücktesten Dinge erlebt. Unverschämter geht es nämlich gar nicht! Du fragst schließlich auch beim Essen mit Stäbchen nicht, was der Löffel und was die Gabel ist.“

„Das ist ja ein komischer Vergleich“, fand Kim.

„Ganz im Gegenteil. Im übertragenen Sinne ist es genau dasselbe. Zwei Männer sind und bleiben in ihrer Beziehung zwei Männer! Beherzige das! Es ist sehr wichtig, wenn du jemanden interviewst. Solche Fragen gehen gar nicht! Solltest du zu weit gehen, schreite ich natürlich unverzüglich ein, aber so weit will ich es gar nicht kommen lassen.“

„Ja, ich habe es verstanden. Aber keine Sorge, das frage ich nicht.“

„Auch beherzigt?“, versicherte ich mich eingehend. „Der Ruf der Presse steht hier auf dem Spiel. Eigentlich darf ich dich gar keine Interviews führen lassen, also vermassele es nicht!“

„Ich habe es beherzigt“, wiederholte sie. „Ich werde mein Bestes geben.“

„Das kann ja heiter werden“, murmelte ich.

Schon hatte Kim eine Frau erspäht, die sie interessant zu finden schien. Ohne zu zögern marschierte sie auf sie zu, Dina und ich folgten ihr.

„Hallo, darf ich Sie fragen, ob sie heterosexuell oder homosexuell sind?“, platzte Kim heraus.

„Kim, wie wäre es mit einem Hallo!“, zischte ich. „Entschuldigen Sie bitte meine Freundin. Ich komme von der Presse und sie wollte unbedingt ein Interwiew führen. Wäre es in Ordnung für Sie, ein paar Fragen zu beantworten.“

„Hallo, gerne doch“, meinte die Frau lächelnd.

„Nur als kleine Vorwarnung: Bei meiner Freundin müssen Sie leider mit allem rechnen“, informierte ich sie.

„Keine Sorge, ich bin da nicht so empfindlich“, versicherte sie. „Ich heiße Stella und du bist …?“, wandte sie sich an Kim.

„Ich heiße Kim“, stellte diese sich artig vor.

„Und um auf deine Frage zu kommen:Weder noch. Ich bin bisexuell.“

„Perfekt“, freute sich Kim. „Wie fühlt es sich für dich an, sowohl auf Männer als auch auf Frauen zu stehen?“, startete sie direkt voll durch.

Meinen Ratschlag, sich langsam heranzutasten, hatte sie vollkommen ignoriert! Na super, das konnte ja heiter werden.

Wie es sich anfühlt.“ Sie zog eine Augenbraue nach oben. „Da möchte ich mit einer Gegenfrage antworten: Wie fühlt es sich für dich an, nur auf ein Geschlecht zu stehen?“

„Ganz normal“, antwortete Kim sofort.

„Aha! Und genauso fühlt es sich auch für mich an: ganz normal. Ich kenne es nicht anders. Ich finde sowohl Männer als auch Frauen anziehend.“

Also bist du, wenn man es genau nimmt, gleichzeitig heterosexuell und lesbisch?“, packte Kim einer ihrer dämlichsten Fragen aus.

„Wenn du es so nennen willst“, antwortete die Frau belustigt. „Dafür gibt es schließlich den Begriff der Bisexualität.“

„Stimmt. Ich glaube, da muss ich noch einiges lernen“, erkannte Kim.

„Oh ja. Ich finde es sehr schön, dass du dich dafür interessierst, aber da solltest du dich wirklich noch einmal genauer informieren. Es ist erschreckend und lustig zugleich, wie unwissend und unbeholfen du in diesem Thema bist.“

„Vielen Dank für Ihre Zeit und dass Sie so freundlich geantwortet haben“, machte ich dem Elend ein Ende. Mir war es wahrscheinlich peinlicher als Kim, die das Interview geführt hatte.

„Sehr gerne, es hat mich gefreut“, fand die Frau und ließ uns alleine.

„Und, wie war ich?“, wollte Kim wissen.

„Hätte nicht schlimmer sein können“, bewertete ich sie, „aber immerhin hast du dein erstes und letztes Interview für heute gehalten. Ich hoffe, du bist glücklich!“

„Ist ja schon gut. Ich werde niemanden mehr irgendetwas fragen.“

„Das habe ich nicht gesagt. Du musst einfach üben. Da gehören Fehler dazu. Aber es gibt auch Fehler, die du schon im Vorfeld vermeiden kannst. Leider hast du einige davon gemacht. Du hast all meine Tipps ignoriert! Die restlichen Interviews werde ich führen.“

bottom of page