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Feliz Navidad

Dina Noche Prudencio

Heilig Abend

Der Schnee lag hoch und Eisblume zierten die Fenster. Mit dicken Pullovern saßen wir um eine schillernd dekorierte Tanne, deren Duft den Raum erfüllte.

Heute war Heilig Abend Mamá und ich hatten Kim zu uns eingeladen, da ihre beiden Mitbewohnerinnen zu deren Familien gefahren waren, um mit ihnen die Weihnachtsfeiertage zu verbringen. Damit sie nicht alleine war, hatten wir sie gefragt und Kim war dankbar dafür gewesen.

„Singen wir etwas?“, schlug Mamá vor.

„Oh ja, sehr gerne“, freute sich Kim, „was für Lieder singt ihr so? Ich kenne Carol of the Bells und andere englische Lieder.“

„Wir singen meist zuerst O Tannenbaum, dann Alle Jahre wieder und dann spontan das, worauf wir gerade Lust haben.“

„Dann fangen wir doch mit O Tannenbaum an“, fand Kim.

Sogleich stimmten wir mit ein und sogar Luna jaulte die Melodie mit. Es war zwar nicht schön, aber dafür schief.

„O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter.“

„Wartet mal“, brach Kim ab.

„Ja?“ Verdutzt hielten wir ebenfalls inne.

„Wieso heißt das eigentlich Blätter? Ein Tannenbaum hat doch Nadeln oder irre ich mich?“

„Nein, du hast recht. Das Lied stimmt nicht ganz, aber das wurde schon immer so gesungen.

„Im Englischen ist das viel schöner“, meinte Kim und begann sogleich zu singen: „O Christmas tree, o Christmas tree, how lovley are thy branches …“ Sie guckte uns kurz an. „Habt ihr gehört? Im Englischen singt man wie schön sind deine Zweige. Das ergibt zumindest Sinn.“

„Kim, ich habe das Lied nicht geschrieben“, rechtfertigte ich mich.

„Aber du singst es. Also heißt es, du vertrittst es.“

„So würde ich es nicht sagen …“

„Irgendwie schon.“

„Ist doch egal“, wandte Mamá ein, „sofern die Melodie schön ist, ist mir der Text relativ egal. Können wir vielleicht Feliz navidad singen?“, schlug sie vor. „Das hat nämlich Strophen in jeder Sprache: deutsch, spanisch und englisch.“

„Einverstanden“, nickte Kim, dann stimmte sie bereits das nächste Lied an.

Danach wollte ich allerdings erst einmal essen. Wir hatten extra vegetarisch gekocht, da Kim kein Fleisch aß. Zusammen mit Mamá hatte ich fast drei Stunden in der Küche gestanden, doch das störte uns nicht. Nebenher hatten wir nämlich „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ geschaut. Seit vielen Jahren war dieser Film für uns ein fester Bestandteil der Weihnachtstradition. Ich fieberte immer darauf hin, wenn er endlich wieder ausgestrahlt wurde. Allerdings ausschließlich die deutsch-tschechische Version von 1973 mit Libuše Šafránková in der Hauptrolle. Die Lieder von Karel Svoboda liebte ich ebenfalls. Auch das Lied „Küss mich, halt mich, lieb mich“ von Ella Endlich, das die Melodie des Titelliedes aus dem Film hatte, war fester Bestandteil meiner Weihnachtstradition.

„Wahnsinn, siehst das lecker aus“, lobte Kim uns, „und es reicht köstlich, mhh.“

„Die Küche dankt“, sagte ich lachend und guckte stolz zu Mamá herüber, die ebenfalls lächelte.

„Dann lasst es euch schmecken, meine Lieben“, meinte Mamá und stellte alles auf den Tisch. Wir setzten uns und begannen hungrig von allem zu probieren. Es war wirklich gut gelungen. Mir schmeckte es fast noch besser als der Braten, den wir zuvor immer gemacht hatten. Denn damals, als Papá noch zu Weihnachten von seiner Weltreise heimgekehrt war, hatte er immer gekocht an diesem besonderen Tag und hatte uns verwöhnt. Leider hatte er sich schon mehrere Jahre nicht mehr an Weihnachten blicken lassen.

Nach dem Essen widmeten wir uns dem Höhepunkt der Feier: den Geschenken.

Wir hatten sie bereits alle unter dem Tannenbaum platziert, was mich immer vor Neugier ganz wahnsinnig machte. Es war schon vorgekommen, dass ich mich bei den einfachsten Weihnachtsliedern versungen hatte, da ich so in Gedanken mit der Frage beschäftigt gewesen war, was wohl in den Päckchen war.

Ich kniete mich hin und zog das erste Päckchen hervor. Auf dem Zettel stand Lucía.

„Für mich?“, freute sie sich. Mamá war die einzige Person die ich kannte, die sich auch selbst beschenkte. Wenn sie etwas unter dem Jahr entdeckte, das sie toll fand, packte sie es ein und legte es unten in den Wandschrank. Bis Weihnachten wusste sie dann oft nicht mehr, was es wahr und freute sich umso mehr darüber, wenn sie es endlich bekam.

Diesmal befand sich in ihrem Päckchen ein dicker Schal und eine Bommelmütze.

„Na, der kommt schon fast zu spät! Lucía, du solltest nicht die Dinge einpacken, die du schon vorher brauchst!“, sagte sie sich. Glücklich band sie sich den Schal um den Hals und setzte sich die Bommelmütze auf.

Nun zog sie ein Geschenk hervor, das für mich bestimmt war. Neugierig riss ich es auf und traute meinen Augen kaum. In dem Päckchen befand sich eine Kiste, die bis zum Rand mit Bildern von meinem Vater gefüllt war, die er auf seiner Weltreise von sich geschossen hatte. Das war ein wahrer Schatz für mich.

Mit funkelnden Augen guckte ich meine Mamá an. „Ist das ein tolles Geschenk. Tausendmal Danke!“

„Schön, dass du dich freust“, lächelte sie, aber du musst dich bei deinem Vater bedanken. Es ist nicht von mir. Carlos hat mir dieses Päckchen letzte Woche gerade noch rechtzeitig per Post zukommen lassen. Ich hatte gehofft, dass du es nicht entgegennimmst. Daher habe ich in letzter Zeit so oft die Post hereingeholt.“

„Was für eine großartige Überraschung.“ Überglücklich nahm ich sie in den Arm.

„Kim, jetzt fehlst noch du“, fiel mir auf. Ich zog unter dem Baum ein kleines Päckchen hervor, das eine große rote Schleife trug.

„Für mich?“, fragte sie verblüfft und nahm das Geschenk entgegen. Sie hatte wohl nicht gedacht, dass auch sie etwas geschenkt bekommen würde. Umso größer war ihre Freude.

„Eine Kuscheldecke! Vielen Dank!“, kreischte Kim überglücklich und drückte den weichen Stoff an sich. „Wie schön flauschig die ist. Ich liebe sie. Ihr seid so nett.“

Natürlich bekam auch Luna ein kleines Päckchen mit Leckerlis, das sie voller Freude aufriss und es sich schmecken ließ.

„Fröhliche Weihnachten!“, sagte ich glücklich, dann umarmten wir uns.

Ich liebte dieses besinnliche Fest so sehr. Nicht nur der Geschenke wegen, ich schätzte die gemeinsame Zeit, das Warme und Herzliche, das es leider viel zu selten unter dem Jahr gab. Alle schienen es für diese wenigen Tage aufzusparen, doch dabei fand ich es tausendmal schöner, wenn auch im restlichen Jahr immer die Werte von Ehrlichkeit, Freude und Liebe ganz oben stehen würden.

„Fröhliche Weihnachten“, wünschte uns Kim.

Auch Mamá schloss sich an: „Fröhliche Weihnachten, meine Engelchen.“

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