Fußraub und Feuerholz
Vera Sturm
Die Grillkohle ist leer und überall restlos ausverkauft. Was unternimmt deine kreativste Figur?
Kim saß vor mir und hielt ihre vegetarische Tofuwurst in der Hand. Wie ein kleines Kind schlenkerte sie damit herum, dass ich Angst bekam, getroffen zu werden.
„Wann kann Kim endlich ihre blöde Wurst auf den Grill legen?“, fragte ich ungeduldig.
„Ich bin gleich so weit“, versicherte er mir und stocherte in der Kohle herum.
„Na hoffentlich, dass dieses Elend“, dabei deutete ich genervt auf Kim, „endlich ein Ende hat.“
„Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“, zitierte Kim singend eine Liedzeile, worüber ich mehr als überrascht war. Nicht nur, dass sie als Vegetarierin dieses Lied sang, nein, sondern dass sie als Engländerin überhaupt dieses Lied kannte!
„Mist, ich bräuchte noch etwas Kohle, der Grill ist nicht heiß genug!“, fluchte Tiago und ließ meine Hoffnung auf ein Schnelles Ende im Keim ersticken.
„Soll ich mich in die Kohle setzen? So heiß wie ich bin …“, scherzte Kim.
„Nicht nötig“, konterte Tiago direkt, „daran habe ich selbst schon gedacht, aber ich will nicht schmutzig werden.“
„Ich kann noch etwas normales Holz besorgen“, meinte Kim und legte ihr labbriges Würstchen auf den Teller.
„Das wäre gut, kannst du es direkt holen?“
„Natürlich!“ Kim sprang auf und eilte in die Wohnung.
„Ich bin wirklich gespannt, was sie vor hat“, rätselte Dina. „Bei ihr muss man ja auf alles vorbereitet sein.“
„Wie recht du hast!“, pflichtete ich ihr bei. „Aber ich finde es so schön, dass es endlich geklappt hat. Hier in meiner Wohnung haben wir noch nie gegrillt, dabei habe ich eine so schöne Terrasse.
„Du grillst auch jetzt nicht“, hielt mir Tiago augenblicklich vor. „Wieso müssen immer wir Jungs grillen?“
„Ich will mein Kleid nicht verschmutzen“, hatte Dina direkt eine Ausrede parat.
„Und ich lasse immer alles schwarzwerden“, musste ich mir eingestehen. Und von Kim brauchen wir gar nicht erst anfangen!“
„Also muss ich wieder herhalten!“ Er lachte auf und fächerte der Kohle Luft zu, um sie zum Glimmen zu bringen. „Viel zu wenig Kohle!“, murmelte er erneut.
„Außerdem“, fiel Dina noch ein Argument ein, „so heiß wie du sieht niemand von und aus.“
Da musste ich ihr recht geben. Tiago stand mit freiem Oberkörper und kurzer Hose am Grill. Seine große Sonnenbrille reflektierte die Glut der Kohle. Mit einer Grillzange ausgerüstet, war er einfach ein Hingucker.
Ein Rumpeln ließ uns alle zusammenzucken. Es war Kim – natürlich! Wer sonst? Sie war mit vollem Schwung gegen die geschlossene Terrassentür geknallt, die ich hinter ihr zugezogen hatte, damit nicht der ganze Rauch in meine Wohnung zog.
„Kim!“, stieß Dina erschrocken aus.
„Ist meine Scheibe noch ganz?“, fragte ich unsicher nach.
Benommen trat Kim nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. „Schön, dass dir deine Scheibe wichtiger ist als ich!“, beklagte sie sich.
„Tut mir leid, aber dein Dickschädel wächst wieder zusammen, meine Tür nicht“, entschuldigte ich mich taktlos.
Vorwurfsvoll warf sie mehrere Holzwürfel auf den Boden. „Da, das Holz!“
„Das ging ja schnell. Danke, Kim, du bist unsere Rettung!“, freute sich Tiago.
„Zumindest weiß es eine zu schätzen“, meinte ich und setzte mich an den Tisch.
Während Tiago das Feuer anfachte und endlich das Grillzeug auf den Rost legte, spürte ich, wie ich langsam Hunger bekam.
„Ich mache schon einmal den Salat an und schneide das Brot auf“, meinte ich.
„Warte, ich helfe dir“, sagte Dina schnell und lief mir hinterher.
Kim ruhte sich noch etwas von ihrer Begegnung mit meiner Terrassentür aus.
„Herrje, ich habe mir wirklich das Lachen verkneifen müssen“, kicherte Dina. „Da rumst sie einfach gegen die Tür. Kaum zu glauben!“
„Kim eben!“, gab ich lachend zurück. „Schau mal, an der Scheibe sieht man sogar noch einen Fettabdruck von ihrer Stirn“, teilte ich ihr meine Entdeckung mit. „Das muss ich gleich wegputzen.“
„Kümmere dich ruhig ums Essen, ich mache das“, bot mir Dina ihre Hilfe an.
„Danke, du bist ein Schatz. Du weißt, wo du alles findest?“, vergewisserte ich mich.
„Im Badeschrank, oder? Der mit den schönen Holzfüßen“, überlegte sie.
„Genau da.“ Ich nickte und kümmerte mich um die Salate. Allerdings hatte ich nicht lange Ruhe.
„Ach du Scheiße!“, hörte ich Dina entsetzt schreien.
„Was, lässt sich der Abdruck nicht wegwischen?“, wollte ich wissen.
„Dazu bin ich noch gar nicht gekommen“, teilte mir Dina mit. „Ich glaube, du solltest es dir lieber selbst ansehen.
„Was?“
„Komm einfach!“
Was hatte sie bloß entdeckt? Hoffentlich war keine Ratte aus dem Klo gekrochen. Doch als ich ins Bad kam, sah alles aus wie immer.
Dina hockte vor meinem Badeschrank und guckte mich entgeistert an.
„Was ist passiert?“, fragte ich erneut.
„Siehst du es nicht?“
„Was?“ Und noch während ich es ausgesprochen hatte, wusste ich, was Dina meinte. Jetzt wusste ich, woher Kim so schnell die Holzklötze genommen hatte. „Das … das gibt es doch nicht!“, kreischte ich erbost auf. „Ist die jetzt vollkommen übergeschnappt? Die Kuh kann mir doch nicht einfach meine Schrankfüße verfeuern!“
Zornig rannte ich hinaus zu Kim und schüttelte sie. Völlig erschrocken und überfordert von meinem Angriff, drehte sie sich zu mir um.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, wollte auch Tiago wissen. „Was ist denn los?“
„Was los ist?“ Ich raufte mir die Haare. „Zweimal darfst du raten, was dir Kim als Feuerholz gebracht hat!“ Ich war so aufgebracht, dass ich ihn nicht einmal antworten ließ. „Meine Badeschrank-Füße! Kim, bist du völlig übergeschnappt?“
„Ich wusste doch nicht, dass du die noch brauchst“, verteidigte sie sich.
„Nein, wieso auch?“ Fassungslos lachte ich auf. „Darauf stand ja auch nur mein Badeschrank!“
„Es war nicht leicht, die Füße abzuschrauben.“
„Dann sind sie wohl auch nicht dafür gedacht, als Brennholz herzuhalten!“
„Aber ihr brauchtet doch schnell Holz!“
„Aber doch nicht meinen Badeschrank!“, kreischte ich erbost.
„Das hast du nicht wirklich gemacht!“ Tiago konnte es kaum glauben. Kopfschüttelnd tippte er sich an die Stirn. „Das war wirklich dumm von dir, Kim!“
„Es ist einfach nichts sicher vor dir!“, fauchte ich. „In Zukunft folge ich dir auf Schritt und Tritt, wenn du in meiner Wohnung dein Unwesen treibst!“
„Entschuldigung!“, gab sie kleinlaut von sich.
„Das bringt meine Füße auch nicht zurück!“
„Ich habe solchen Hunger und wollte …“
„Das können wir sowieso nicht mehr ändern.“ Tiago versuchte, möglichst ruhig zu bleiben. „Wie wäre es, wenn wir erst einmal in Ruhe essen und uns dann um den Schrank kümmern? Das Essen ist nämlich fertig. Und satt denkt es sich besser.“
„Na gut“, ließ ich mich darauf ein, warf Kim allerdings während des gesamten Essens zornige Blicke zu. Diese wagte es kaum, mich anzusehen und stocherte schuldbewusst in ihrem Teller herum.