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Geklaute Druckerpatronen in Farbe

Niklas Böhringer

Du überredest deine stillste Figur, für dich einzubrechen, um etwas für dich Wichtiges zu besorgen. Wie überredest du sie und wird sie erfolgreich sein?

Gerade war ich im Rosengarten unterwegs, als mir zufällig Vera über den Weg lief. Sie wirkte sehr beschäftigt, doch trotzdem sprach ich sie an. Ich hatte nämlich eine Bitte an sie, die ich selbst unmöglich erledigen konnte. Vera, die beim Ettlinger Amtsblatt arbeitete, hatte die besten Kontakte, um ins Pressehaus zu gelangen. Nicht, dass ich einbrechen wollte. Nein! Ich brauchte unbedingt eine neue Palette an farbigen Druckerpatronen. Mein Farbdrucker war nämlich schon seit Wochen leer. Vera sollte diese Patronen für mich besorgen. Doch wie sollte ich ihr das bloß erklären?

Mehr als ungelenk sprach ich sie an und ihre Reaktion hatte ich schon vermutet.

„Du willst was? Entgeistert guckte sie mich an. „Das ist Diebstahl! Ich könnte meinen Job verlieren. Das will ich nicht riskieren. Guck selbst, wie du an diese farbigen Patronen kommst.“ Wütend funkelte sie mich an. „Und überhaupt, warum druckst du nicht einfach schwarz-weiß?“

„Vera, bitte“, flehte ich. Auf ihre farbig- oder schwarz-weiß-Diskussion ging ich gar nicht erst ein. „Außerdem kann ich als Autor deinen Chef umstimmen oder ihn außer Haus locken. So fällt es gar nicht auf.“

„Nein!“, beharrte sie. „Wieso schreibst du dir nicht diese Patronen herbei?“

„Weil ich keine materiellen Dinge schreiben kann. Ich kann nur Einfluss auf die Gedanken und Handlungen meiner Figuren nehmen“, klärte ich sie auf. Wäre es möglich, hätte ich längst die Patronen herbei geschrieben – und nicht nur die.

„Aha. Wieso zwingst du mich dann nicht, dir die Patronen zu besorgen?“, motzte sie. „Das kannst du doch, wenn ich es richtig verstanden habe.“

„Ich könnte, aber ich kein Diktator! So etwas mache ich nicht!“, erklärte ich leicht geschockt. „Ich bitte dich, dass du es von dir aus tust.

„Nein!“ Sie schaute mich mit finsterem Blick an. Aber ich konnte ihr ansehen, dass sie ein Stück weit erleichtert war, dass ich diese Möglichkeit unter keinen Umständen nutzen wollte, um sie umzustimmen. „Warte, du kannst meinen Chef wirklich aus dem Haus locken?“, fiel ihr nun auf.

„Ja, das kann ich machen.“

„Ist das dein Ernst?“ Sie klang etwas sanfter.

„Bitte, liebe Vera!“, flehte ich und ging sogar auf die Knie.

„Was“, sie blickte sich um, „springt für mich dabei heraus?“

„Für dich?“ Kurz war ich sprachlos, doch dann sprach ich schnell weiter. „Du … gehst darauf ein?“, wollte ich mich zuerst absichern.

Langsam nickte sie. „Aber ich will eine bessere Bezahlung und eine größere Rolle in der Geschichte. Außerdem darf kein Fluch auf mich fallen!“

Herrje, das waren harte Verhandlungen! Auch wenn mir der Kopf rauchte, da über Vera überwiegend nur Büro-Szenen entstanden und ohne Fluch es nicht wirklich etwas zu erzählen gab. „Ich gehe darauf ein“, entschied ich, trotz meiner Zweifel. „Aber bitte hole mir diese bunten Patronen. Vom Fluch bleibst du verschont. Dein Gehalt – ich kann dir nichts versprechen, aber ich werde mein Möglichstes tun. Denn Geld ist eine heikle Sache.“

„Das reicht mir.“ Vera nickte und so machten wir mit einem Handschlag unseren Deal.

„Ich bin dann mal weg“, sagte sie und drehte sich um.

Geschockt sprang ich ihr hinterher. „Vera! Ich dachte, wir hätten einen Deal!“

„Ja. Haben wir auch! Ich will die Patronen holen – wie es abgemacht war.“

„Ah!“ Erleichtert lachte ich auf. „Ach so!“

Vera steuerte zielstrebig auf das Pressehaus zu, das noch trotz der späten Stunde beleuchtet war.

Nur mit Mühe konnte ich mir einen Freudenschrei verkneifen.

Die Patronen – sicher konnte niemand nachvollziehen, wieso ich sie so dringend brauchte und wieso ich dieses Theater veranstaltete. Natürlich hätte ich genauso gut welche kaufen können anstatt dieses Risiko einzugehen, doch irgendwie sah ich es nicht ein, eine neue Packung zu kaufen, wenn im Pressehaus Hunderte Packungen herumlagen. Da würde doch die eine fehlende Palette nicht auffallen! Zudem brauchte ich sie dringend für mein nächstes Buch, da es farbige Illustrationen enthalten soll, die ich dringend testen muss, bevor es veröffentlicht wird. Das geht eben nicht in schwarz-weiß!

„Ich habe sie“, rief mir Vera zu, als sie aus dem Gebäude trat, und schlug sich schnell die Hände vor den Mund. „Ups! Ich sollte es nicht so laut herumschreien!“

„Vera, du bist die Größte!“, quiekte ich glücklich und grinste so sehr, dass es mir fast den Kiefer zerriss.

„Nun bist du an der Reihe. Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Setz dich hin und schreib! Ich gucke dir dabei zu! Jedes Wort beobachte ich!“

„Ich … ich kann unter Druck nicht schreiben!“, gestand ich.

„Egal, das musst du jetzt, sonst nehme ich die Patronen wieder mit. Ich hatte auch Druck, als ich die mitgehen lassen habe, das kannst du mir glauben!“

„Nein, bloß nicht. Ich kann nirgends so gut schreiben wie hier im Park … unter deiner Beobachtung … unter Druck … im Dunkeln. Ausgezeichnete Bedingungen für einen guten Text!“ Ich lachte unsicher. Ich zog meinen Block hervor, den ich immer bei mir hatte, heraus und begann zu schreiben.

Noch nie hatten meine Finger so sehr gezittert wie in diesem Moment. Ich konnte mich nicht dabei konzentrieren, wenn mir jemand über die Schulter blickte. Diese strenge Stille war noch schlimmer als Lärm.

Vera, an der alle Flüche abprallen wie Regentropfen an einer Scheibe, saß im Büro der Ettlinger Zeitung vor ihrem Chef. Dieser hielt einen Kuli in der Hand. Vor ihm lag ein Formular. Er war gerade dabei, seiner eifrigen Reporterin eine Gehaltserhöhung zu geben, die sie schon lange verdient hatte.

Ich blickte auf. Vera hatte alles mitgelesen. „So?“, fragte ich.

Sie las es erneut durch und nickte dann zufrieden. „Damit kann ich leben. Du hast auch deinen Teil der Abmachung erfüllt.“

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