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Ich bin in deinem Buch, ich verklage dich!

Niklas Böhringer

Ein bei dir unbeliebter Kollege findet sich in einem deiner Antas wieder und konfrontiert dich damit.

Nichtsahnend döste ich auf meiner Liege und genoss die Sonne. Jemand näherte sich mir, doch ich wollte mir einem Spaß daraus machen und mich schlafend stellen. Allzu lange ging das allerdings nicht gut.

„Niklas! Wach auf!“ Ein brennender Schlag mit der Hand auf meinen freien Bauch war die Folge.

Ich schreckte hoch, zog meine Sonnenbrille ab und blickte ins vor Wut verzerrte Gesicht von … Max?

„W-Was machst du denn hier?“, wollte ich verdattert wissen. „Und wieso schlägst du mich?“ Ich war mit Max in einer Klasse gewesen und hatte ihn nicht wirklich leiden können.

„Ich habe dein Buch gelesen“, teilte er mir vorwurfsvoll mit.

„Das freut mich.“ Ich war zwar überrascht, doch erfreut. „Und jetzt willst du ein Autogramm?“

„Ne, lass mal. So eine Scheiße brauche ich nicht. Nicht von dir! Da kritzle ich lieber selbst dieses Buch voll.“ Mit voller Wucht knallte er mir mein Buch auf den Schoß, dass es nur so klatschte.

„Au!“, beklagte ich mich.

„Wieso komme ich darin vor?“ Bedrohlich baute er sich vor mir auf.

„Kommst du doch gar nicht!“, verteidigte ich schnell mich und meine Figuren. So einen Idioten wie ihn würde ich doch nicht in meinem Buch vorkommen lassen – so arrogant und selbstverliebt.

„Ich habe mich genau in einer deiner Figuren erkannt!“

„Müssen wir das hier vor allen Leuten klären?“, fragte ich in gedämpftem Tonfall.

„Das ist mir doch egal. Sollen sie doch alle hören, dass du Mist gebaut hast! Ich werde dich verklagen!“

„Verklagen, wegen einer Figur, die dir rein zufällig ähneln könnte?“ Ich war geschockt. Als ob er das machen würde.

„Ich gehe vor Gericht!“, drohte er mir erneut.

Mist, er meinte es wirklich ernst. Aber konnte er damit wirklich durchkommen?

„Ich hätte folgenden Hinweis im Buch vorne einfügen müssen: Die Handlung ist frei erfunden und jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.“ Ich versuchte, möglichst viel Verständnis zu zeigen.

„Das hättest du wohl lieber. Aber das ändert nichts daran, dass ich in diesem Buch vorkom­me!“, grollte er.

„Und was soll ich jetzt machen?“, fragte ich unsicher nach. Ich hoffte, irgendeine friedliche Lösung zu finden – ohne Anwalt, ohne Gericht.

„Du kannst mir den Kaufpreis zurückerstatten. Das halte ich für das Mindeste, was du tun kannst!“, schlug er genervt vor.

Darauf konnte ich mich sehr gut einlassen. Eilig zog ich einen Geldschein hervor und drückte ihn ihm in die ausgestreckte Hand.

„Bitte, ist das Thema damit geklärt?“

„Nein, du musst das Buch zurückziehen und mich aus der Handlung streichen!“, bestimmte er.

„Das kannst du unmöglich verlangen.“ Wusste er überhaupt, welche Konsequenzen das mit sich zog. Ich wusste nicht einmal, um welche Figur es sich handelte, aber die kompletten Szenen mit dieser angeblich ähnlichen Figur umzuschreiben konnte womöglich die gesamte Eigenart der Figur und die Handlung verändern, sogar zerstören. „Das würde mein Buch ruinieren!“

„Nicht mein Problem!“, gab er kalt zurück.

„Um welche Figur geht es hier eigentlich?“, wollte ich endlich wissen.

„Um den Taxifahrer“, teilte er mir erbost mit.

„Was für einen Taxifahrer?“ Jetzt musste ich aber mächtig grübeln.

„Gib her, ich zeige es dir!“ Er riss mir mein Buch aus der Hand, blätterte zur besagten Stelle – er hatte sie mit gelbem Textmarker gekennzeichnet, damit ich sie unter keinen Umständen übersehen konnte – und deutete anklagend darauf.

Ich las mir die Seite durch und konnte es kaum glauben. „Das ist jetzt nicht dein Ernst! Wegen diesem Mini-Absatz soll ich das Buch zurückziehen? Der hat ja nicht einmal eine Ähnlichkeit mit dir!“

„Nicht zurückziehen, aber du kannst mich an deinem Gewinn beteiligen“, meinte er.

Bei dem Wort Gewinn verschluckte ich mich fast. Wenn er wüsste, dass ich als Selfpublisher gerade froh sein konnte, meine entstandenen Kosten zu decken. Damit war ich schon zufrieden.

„Dich beteiligen?“

„Ja, mit fünfzig Prozent!“, verlangte er.

„Das hättest du wohl gerne. Aber ich frage mich noch immer, welche Ähnlichkeit du mit diesem Taxifahrer haben sollst.“ Die Frage beschäftigte mich sehr. Über diesen Fahrer hatte ich kaum etwas geschrieben.

„Mein Vater war Taxifahrer!“

„Das ist nicht dein Ernst! Dann dürfte ich ja gar nichts mehr schreiben! Es wird immer jemanden geben, der rein zufällig einen Bus, ein Taxi oder eine Bahn fährt; jemanden, der die Straße überquert oder einen Bäcker. Das sind doch ganz normale Berufe.“

„Trotzdem, es trifft eindeutig auf meinen Vater zu.“ Er las die besagte Stelle noch einmal vor, in der ein spanischer Taxifahrer seine Familie beschrieb:


Tengo una familia grande. Mi mujer es la mujer más bella del mundo. Mis niños son guapos también. Mi casa es bastante bonita. Para mi, es la casa más bonita.“ Ich habe eine große Familie. Meine Ehefrau ist die schönste Frau auf der Welt. Meine Kinder sind auch hübsch. Mein Haus ist ziemlich schön. Für mich ist es das schönste Haus.


„Aha, und worin sind da jetzt die Ähnlich­keiten?“, wollte ich wissen.

„Na, ich habe die schönste Mutter der Welt und ich bin auch hübsch – wie du es geschrieben hast. Außerdem wohnen wir in einem ziemlich schönen Haus. Du hast eindeutig über mich und meine Familie geschrieben!“

Wortlos riss ich ihm den Geldschein aus der Hand. „Den brauchst du nicht mehr! Wenn du willst, signiere ich dir das Buch, ansonsten nimm deine Beine in die Hand und verschwinde. Du stehst mir in der Sonne!“, blaffte ich ihn an. Mit dieser Stelle konnte er gerne vor Gericht gehen; damit würde er keinen Erfolg haben.

Erleichtert setzte ich mir meine Sonnenbrille auf und legte mich zurück auf die Liege. Triumphierend grinsend schaute ich ihm hinterher, wie er davon stapfte.

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