Lilith en el Camino de Santiago
Dina Noche Prudencio
Camino de Santiago - Teil 01
In einer Bar trifft deine Lieblingsfigur in Abenteuerlaune auf Lilith. Was passiert?
Camino de Santiago 01: Lilith en el Camino de Santiago
„Hab ich das nicht gesagt?“ Kim grinste übers ganze Gesicht. Vor mir stolperte sie in eine Bar hinein. Durstig, wie wir waren, konnte ich es kaum glauben, dass wir wirklich diese Bar gefunden hatten … mit Kim als Wegführer.
Anfang der Ferien hatten Kim, Vera und ich beschlossen, eine lange Wanderung zu machen: nämlich die Pilgerreise über den Jakobsweg. Wir standen noch relativ am Anfang der Reise, weswegen wir alle in bester Laune waren.
„Guten Tag, drei Tische für eine Person“, bestellte Kim gerade. Erst, als die Kellnerin sie verwirrt ansah, bemerkte sie ihren Versprecher. „Andersrum“, fügte sie nur noch hinzu. „Ich brauche dringend was zu trinken!“
„Das kann ich verstehen“, lächelte die Kellnerin und brachte uns an einen schönen Tisch mit Blick auf einen großen See. „Was darf es sein?“
„Einfach nur eine Flasche stilles Wasser, bitte“, meinte Kim und ließ sich erschöpft nieder.
„Mit zwei Gläsern“, schloss sich Vera sofort an. Auch sie war schweißgebadet und unsere Wasservorräte waren längst aufgebracht. Zwar waren wir erst einen Tag unterwegs, doch bei dieser Hitze war das schier unerträglich. Wie haben das die Pilger damals bloß durchgehalten? Sind die im Winter gelaufen? Soviel ich wusste, hatten die meisten von ihnen nicht einmal Schuhe getragen. Heute war das deutlich angenehmer.
„Und Sie?“, wollte die Kellnerin wissen.
„Machen Sie drei Gläser draus“, entschied ich.
„Alles klar, die Getränke kommen sofort.“ Damit lief sie davon und bereits wenige Sekunden später kühlte das Wasser angenehm unsere ausgetrockneten Kehlen.
„Seid ihr auch auf Pilgerreise?“ Eine junge Frau mit geheimnisvollem Gesichtsausdruck war urplötzlich neben uns aufgetaucht.
„Sind wir. Sie auch?“
„Ja, aber nicht zum ersten Mal. Darf ich mich setzen?“
Ich nickte und so nahm sie neben mir Platz.
„Entschuldige, dass ich euch einfach so angesprochen habe, aber ich bin allein unterwegs und suche ab und zu Gesellschaft. Ich hoffe, das stört euch nicht. Ich bin übrigens Lilith.“
„Nö, ist okay. Ich bin Kim“, meinte diese. „Kannst ruhig du sagen.“
Nun ja, das Du hatte ich auch anbieten wollen, aber nicht so überrumpelnd wie Kim es getan hatte. „Ich bin Dina“, stellte ich mich vor.
„Und ich heiße Vera.“
„Freut mich“, meinte Lilith und nippte an ihrem Getränk, das sie mitgebracht hatte. Was genau es war, wusste ich nicht. Es sah fast aus wie Blut, doch das war es bestimmt nicht. Allerdings konnte ich auf der Speisekarte kein Getränk ausfindig machen, das rot war. Leicht unwohl schielte ich zu ihr hinüber.
„Und wie weit soll es bei euch gehen?“, wollte in Plauderlaune Lilith wissen.
„Wir hatten vor, den Weg bis nach Spanien zu laufen, denn meine Mutter hat es uns empfohlen. Ich komme selbst aus Spanien und der Camino de Santiago hat einen großen Kulturwert für mich. Ich will erfahren, wie die Menschen früher diesen Weg gegangen sind und die Hintergründe herausfinden, was sie dazu angetrieben hat“, erklärte ich.
„Interessant, also doch bis zum Ende“, fand Lilith. Ihre schwarzen Augen schienen unendlich tief zu sein. Wie ein Brunnen, dessen Boden man nicht sehen konnte. Wie die finsterste Nacht, in der kein einziger Stern zu sehen war.
„Santiago de Compostela ist unser Ziel. Das liegt in Galicien“, fiel mir wieder der genaue Name ein.
„Genau da will ich auch hin. Wenn es euch nichts ausmacht, begleite ich euch.“ Lilith leerte den Rest ihres Glases in einem Zug.
„Nö, kannst mitkommen“, meinte Kim, die heute ungewöhnlich gut drauf war.
Los peregrinos iban a pie, las ich eine Zeile, die auf dem Untersetzer meines Glases stand. Das war Spanisch und bedeutete soviel wie: Die Pilger liefen zu Fuß. Auch auf den anderen Untersetzern entdeckte ich nun diese Sätze:
En la Edad Media todos los peregrinos caminaban por motivos religiosos. Im Mittelalter liefen alle Pilger den Jakobsweg aus religiösen Gründen.
Casi todos los peregrinos estaban hombres. Fast alle Pilger waren Männer.
Als ich mir all diese spanischen Sätze über den Jakobsweg durchlas, war ich mehr als froh, dass wir diesen in heutiger Zeit bestritten. Dass auf diesem Weg auch manche Pilger ums Leben gekommen waren, verschwieg ich Kim und Vera lieber.
„Wollen wir weiterlaufen? Ich würde gerne vor der Dunkelheit die nächste Herberge erreichen“, meinte ich.
„Wenn es denn sein muss“, jammerte Kim, „ich könnte noch etwas Pause gebrauchen.“
„Wenn du dieses Theater bei jeder Rast machst, will ich doch lieber nicht mit euch laufen“, drohte Lilith, „dann sind wir in einem Jahr noch nicht angekommen.“
„Was? Ein Jahr müssen wir noch laufen?“ Entgeistert blickte sie mich an. „Dina, was hast du uns nur angetan? Hättest du uns das nicht zumindest vorher sagen können?“
„Hätte ich es gesagt, wärst du bestimmt nicht mitgekommen und außerdem werden wir kein Jahr laufen!“, versicherte ich. Ich warf Lilith einen strafenden Blick zu, doch diese schien das nicht zu stören.
„Stimmt“, meinte Kim, „aber wie lange laufen wir wirklich?“
„Vielleicht so um die sechs Wochen“, schätzte ich. Im Internet hatte etwas von nur fünf Wochen gestanden, doch so langsam, wie wir nur vorankamen, wären wir sicherlich noch einige Tage länger beschäftigt.
Es gab ja mehrere Routen, die alle in Santiago de Compostela endeten. Die Route, die ich ausgewählt hatte, Camino Francés, war knapp 800 Kilometer lang und sollte ideal für Anfänger sein. Doch an Kim sah ich, dass wohl eine Tagestour zu viel gewesen wäre. Wie sollten wir das bloß schaffen?
„Genug geredet, wir laufen weiter!“, entschied Lilith und rief die Bedienung zum Zahlen. Während Kim und Vera auf dem Klo verschwanden, um ihre Flaschen noch einmal zu füllen und sich frisch zu machen, kümmerte ich mich ums Zahlen. Als auch Lilith einen Beutel hervorzog, verschlug es mir die Sprache. Neben einigen Goldmünzen befanden sich darin unverkennbar mehrere würfelgroße Knochen und ein paar Zähne, von denen ich nicht deuten konnte, ob sie menschlich oder tierisch waren.
Erschrocken atmete ich etwas zu laut ein und Lilith sah sich zu mir um.
„Keine Sorge“, hauchte sie, „die sammle ich nur von Männern. Frauen sind dafür nicht zu gebrauchen. Zu zarte Wesen.“
Ich wollte aufstehen, doch sie hielt mich bestimmt zurück: „Kein Wort zu deinen Freundinnen“, hauchte sie, „sonst überlege ich es mir vielleicht anders!“
Stumm nickte ich, dann eilte ich zur Toilette, um mich zu erfrischen. Kim und Vera sagte ich nichts.