top of page

Schwarzfahren

Vera Sturm

Deine korrekteste Figur muss schwarzfahren. Wie kommt esdazu und was geschieht?

„Los, los, die Bahn fährt schon in den Bahnhof!“, rief ich und rannte so schnell ich konnte.

Atemlos erreichte ich gerade noch die Tür, bevor sie sich schließen konnte. Keuchend stellte ich mich in die Lichtschranke, damit Dina und Kim noch einen Moment länger Zeit hatten.

Japsend hüpfte Kim in den Zug, dicht gefolgt von Dina, die ebenfalls schwer atmete. Kim wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ihr Kopf war knallrot.

„Hab ich euch schonmal gesagt, dass ich Sport hasse?“, keuchte sie.

„Nicht nur einmal, aber gerade hast du es hervorragend bewiesen, dass du es auch nicht kannst.“

„Sport ist Mord!“, fluchte sie. „Ich muss mich erst einmal hinlegen und verschnaufen.“

„Wir sind gleich zu Hause“, munterte ich sie auf.

„Darauf will ich nicht warten! Ich meinte jetzt sofort. Ich bin erschöpft und will mich hinlegen“, beharrte sie.

„Aber alle Sitze sind voll“, fiel Dina auf. „Dein Plan geht leider nicht auf.“

„Und wie er das tut!“ Ohne zu zögern legte sie sich einfach auf den Boden. Ihr seliges Lächeln verriet, wie gut ihr das tun musste. Dass einige der Fahrgäste sie verdattert anblickten, schien sie nicht zu stören.

„Kim, du kannst doch nicht …“, stieß ich verblüfft aus.

„Wieso? Siehst doch, dass es geht!“, meinte sie und kicherte. „Wieso bist du so verkrampft?“

„Ich lege mich garantiert nicht auf den Boden!“, meinte Dina, wobei ich ihr nur zustimmen konnte. Da kämpfte ich lieber gegen meine Erschöpfung an als vor den Augen aller hinzuliegen.

An der nächsten Haltestelle stiegen einige Fahrgäste aus, die alle über Kim hinweg steigen mussten. Sie blieb einfach liegen. Plötzlich verzog sich ihr Gesicht zu einem Grinsen, das immer stärker wurde, bis sie in schallendes Gelächter ausbrach.

„Was ist denn jetzt?“, wunderte ich mich.

„Die Frau, die über mich gestiegen ist …“, setzte sie an und prustete erneut.

„Die mit dem bunten Rock?“

„Genau die! Sie hatte keine …“ Vor Lachen bekam sie fast kein Wort mehr heraus. „… sie hatte … hatte … sie hatte keine Unterhose an!“

„Waaas?“ Der Gedanke ließ mich kurz zittern. „Darum liegt man nicht auf den Boden!“

„Sei froh, dass es kein Schotte war. Da hättest du deutlich mehr gesehen!“ Dina konnte sich ein Lachen ebenfalls nicht verkneifen.

„Nein, allein schon die Vorstellung daran!“, stieß ich aus. „Na super, jetzt habe ich ein Kopfkino!“

„Gern geschehen!“ Dina grinste breit.

Einige der Fahrgäste blickten uns verständnislos an. Was sie von uns denken mochten, wollte ich lieber nicht wissen. Doch ein Gutes hatte es: zwei Plätze wurden frei.

„Kim, willst du hinsitzen?“, bot ich ihr sofort den Platz an, damit sie nicht mehr im Weg herumlag.

„Nein, nein“, wehrte sie ab, ich fahre schwarz. Ich will zahlenden Kunden nicht den Platz wegnehmen.“

„Dein Ernst? Wieso hast du keine Fahrkarte?“

„Hatte ich Zeit, mir eine zu kaufen?“, wandte sie ein und richtete sich auf. „Ich bin wie bekloppt zu Bahn gerannt, falls du dich erinnerst.“

„Das werde ich nicht so schnell vergessen“, kicherte ich, „aber Dina und ich haben es doch auch geschafft, eine Fahrkarte zu kaufen.“

„Ist eben billiger ohne“, meinte Kim schulterzuckend.

„Äh, woher willst du wissen, dass ich mir eine gekauft habe?“, flüsterte Dina unverhofft.

„Hast du nicht?“

Beschämt schüttelte sie den Kopf. „Vergessen“, murmelte sie.

„Dann lass dich bloß nicht erwischen!“, ermahnte ich sie. „Vergessen, pah! Was habe ich bitte für kriminelle Freundinnen?“

„Kriminell, aber lustig“, meinte Kim, die sich wieder quer im Gang ausbreitete.

Ich setzte mich kopfschüttelnd auf einen der Plätze und klopfte auf den freuen neben mir. Erwartungsvoll blickte ich Dina an.

„Ich sollte lieber stehen“, meinte sie zögerlich. „Ich habe doch nicht gezahlt. Ich will keinem zahlenden Fahrgast den Platz wegnehmen“, wiederholte sie monoton Kims Worte.

„Eine verrückter als die andere! Aus euch werde ich nicht schlau!“ Da kam mir eine Idee. „Du kannst doch aufstehen, sobald jemand kommt.“

„Einverstanden.“ Endlich setzte sie sich.

Kurz darauf kam tatsächlich jemand.

„Die Fahrscheine bitte“, rief er. Es war der Fahrkartenkontrolleur, der sich langsam seinen Weg durch die Menge bahnte. Als er Kim erreichte, stützte er seine Hände in die Seite. „Gab es nicht genug Sitzplätze oder warum liegen Sie hier?“

„Nein, außerdem hätte ich fast die Bahn verpasst und musste rennen. Daher musste ich mich erst einmal hinlegen.“

„Dann bleiben Sie eben liegen, wenn es gemütlich ist. Nur behindern Sie keine anderen Fahrgäste. Dürfte ich ihren Fahrschein sehen?“

„Nein.“

„Was heißt hier Nein?“

„Ich habe keinen“, sagte sie ohne eine Miene zu verziehen.

„Da bin ich jetzt baff. Sonst gibt es kein Fahrgast direkt zu, wenn ich ihn erwischt habe.“

„Sehen Sie, dann ist ja alles gut“, meinte sie grinsend.

„Eben nicht. Sie brauchen eine Fahrkarte! Das gibt eine Strafe!“

„Ich habe es ihnen doch erklärt: Ich hätte die Bahn fast verpasst, musste rennen und in all der Hektik habe ich eben vergessen, einen Fahrschein auszufüllen.“

„Schöne Geschichte. Ihre Personalien, bitteschön“, fuhr er unbeirrt fort und zückte einen Block.

„Monika Fricke“, behauptete sie.

„Straße?“

„Untere Moosbachtalstraße 31.“

Eifrig schrieb der Kontrolleur, während Kim immer wieder nach draußen sah. Ganz schön clever, einen so langen Straßennamen zu nennen. Es war zwar gelogen, doch so konnte sie ihn hinhalten.

Und sie hatte Glück, wenige Sekunden später hielt die Bahn und die Tür öffnete sich. Abrupt sprang Kim auf und rannte aus der Bahn. Zügig folgten Dina und ich ihr, um nicht ebenfalls kontrolliert zu werden.

bottom of page