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Sie sagt die Wahrheit

Vera Sturm

Deine besserwisserischste Figur hat an einem Tag urplötzlich immer recht. Was passiert?

„Los, wir müssen uns beeilen!“, rief Kim. „Sonst verpassen wir noch die Bahn.“

„Ach, Kim, mach dir keinen Kopf. Bisher haben wir es auch immer geschafft“, redete ich ihr gut zu.

„Schön, dass du da so ruhig bleiben kannst, aber ich will eben pünktlich loskommen“, beharrte Kim.

Wenige Minuten später liefen wir auch schon los, doch Kim blickte immer nervöser auf ihre Uhr.

„Mist! Wir werden die Bahn verpassen! Wir haben nur noch eine Minute. Das schaffen wir nie pünktlich!“, motzte sie.

Leider bewahrheitete sich Kims Vorahnung. In dem Moment, als wir außer Atem angerannt kamen, schlossen sich die Türen und die Bahn fuhr los – ohne uns.

„Na ganz große Klasse!“, zeterte Kim. „Ich habe es euch doch gesagt. Wir hätten früher loslaufen sollen! Es ist allein eure Schuld!“

„Ja, Kim, ich glaube, wir hätten auf dich hören sollen“, erkannte Dina.

„Bestimmt ist die nächste Bahn komplett überfüllt“, vermutete Kim und sah nicht glücklich bei diesem Gedanken aus. „Ich habe keine Lust, in so einer Bahn zu stehen.“

„Warten wir doch erst einmal ab“, meinte ich, „die nächste Bahn kommt in zehn Minuten. Da werden bestimmt nicht so viele Leute zusteigen.“

„Das glaubst aber auch nur du“, meinte Kim verächtlich schnaubend, „sie wird sicherlich bis zum letzten Platz belegt sein.“

Und wieder behielt Kim recht. Als die nächste Bahn eine viertel Stunde später vor uns hielt, hatten wir Mühe, überhaupt hineinzukommen. Nicht nur der letzte Sitzplatz war belegt – auch die Stehplätze Schienen an ihre Grenzen gekommen zu sein.

„Habe ich es euch nicht gesagt⁈“, empörte sich Kim. „Wären wir pünktlich losgekommen, hätten wir einen anständigen Sitzplatz bekommen! Wahrscheinlich sogar einen Vierer!“

„Daran können wir jetzt leider nichts mehr ändern“, meinte Dina, die sich damit abgefunden hatte. „Dann stehen wir eben.“

„Ihr wisst aber schon, dass stehen gefährlich ist. Wenn die Bahn ruckartig bremst, können wir alle stürzen.“

„Hier ist es doch so eng, dass wir nicht einmal genug Platz zum Stehen haben. Da werden wir auch nicht hinfallen.“ Dina wirkte entspannt.

„Keine Ahnung. Ich habe kein gutes Gefühl“, meinte Kim.

Bereits an der nächsten Haltestelle bremste die Bahn so abrupt ab, dass wir stürzten und langgestreckt im Gang lagen.

Bei dem Sturz hatte ich mir unglücklich den Fuß verdreht, was ziemlich wehtat. Kim half mir hoch und beäugte mich besorgt. Als sie mein von Schmerz verzerrtes Gesicht sah, legte sie eine dramatische Mine auf.

„Hoffentlich ist es nicht gebrochen. Das würde uns gerade noch fehlen!“ Behutsam tastete Kim meinen Fuß ab.

Es schmerzte extrem und ich schrie auf. „Vorsichtig, das tut höllisch weh!“

„Wir müssen umgehend in ein Krankenhaus, so hat es keinen Sinn“, erkannte Kim. „Wenn es wirklich gebrochen ist, musst du es schleunigst behandeln lassen.

„Ich glaube nicht, dass es gebrochen ist“, meinte Dina die sich ebenfalls aufgerappelt hatte.

„Ich hoffe es auch nicht“, schluchzte ich.

Zu meinem Unglück bestätigte sich Kims Vermutung, als wir die Diagnose des Arztes eine halbe Stunde später erhielten. Wir hatten ein Krankenhaus aufgesucht und meinen Fuß röntgen lassen.

„Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Fuß gebrochen ist. Die Fraktur ist glücklicherweise nicht gefährlich, sodass wir wahrscheinlich nicht operieren müssen. Ein einfacher Gips und viel Ruhe sollte Ihnen bereits genügen.“ Der Doktor gab mir einen Zettel, auf dem er alles notiert hatte. In einem Rollstuhl schob er mich zurück in den Behandlungsraum, um mir den Gips anzulegen. Kim und Dina folgten mir.

„Habe ich es dir nicht gesagt!“, rief Kim empört. „Dieser Tag ist verflucht. Hättet ihr einfach auf mich gehört, wäre all das nicht passiert!“

„Es ist aber nun einmal passiert. Daran kann man nichts mehr ändern!“, klagte ich und sah dem Arzt dabei zu, wie er mir den Gips anlegte.

„Sie müssen sich die nächsten Tage schonen!“, erklärte er mir. „Ansonsten kann die Fraktur sich verschieben und wir müssen doch operieren.“

„Glücklicherweise kann ich Ihnen sagen, dass sich Vera immer an ärztliche Anweisungen hält“, meinte Kim.

In diesem Moment hoffe ich inständig, dass ihre Aussage auch wirklich stimmte. Normalerweise war ich nämlich nicht so gewissenhaft, wenn es um ärztlichen Rat ging.

„Wollen wir ein Eis essen?“, fragte ich. „Auf den Schrecken brauche ich etwas Süßes.“

„Oh ja, ich bin dabei“, stimmte Dina sofort zu.

„Ich auch“, schloss sich Kim an. „Passt nur auf, dass keine Wespe auf dem Eis sitzt. Das ist mir schon einmal passiert. Sie hat mich in die Zunge gestochen. Daher gucke ich immer das Eis genau an, bevor ich es abschlecke.“

„Ich habe das ungute Gefühl, dass ich auf dich hören sollte“, meinte Vera, als wir je mit einem Eis in der Hand auf einer Bank saßen.

Kaum hatte ich es ausgesprochen, saß tatsächlich eine Wespe auf meinem Eis. Beinahe hätte ich daran geschleckt. Vorsichtig schob ich sie mit dem Finger hinunter.

„Nimm ein Stöckchen, nicht dass sie dich noch sticht“, rief Kim panisch.

Doch da war es bereits passiert. Ich spürte einen brennenden Schmerz an meinem Finger. Vor Schreck ließ ich das Eis fallen.

„So eine Scheiße“, stieß ich erschrocken aus.

„Ich habe es dir doch gesagt“, fügte Kim noch kläglich hinzu, während sie das Stöckchen in ihrer Hand anglotzte.

„Woher wusstest du …“, wollte Dina wissen.

„Ich wusste es nicht, aber es ist eben gefährlich. Ich wollte Vera warnen“, erklärte sie. „Und noch eine Warnung. Wir sollten uns eincremen. Ich will keinen Sonnenbrand bekommen!“

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