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Steuerliches Kreuzworträtesldrama

Vera Sturm

Auch in deiner Welt sind die Lebenshaltungskosten stark gestiegen. Wie reagieren deine Figuren?

„Ich habe dir die Zeitung direkt mitgebracht“, sagte ich zur Begrüßung und legte einen Stapel Briefe auf den Küchentisch.

„Ah, perfekt.“ Kim düste sofort los, um auch die Briefe aus dem Briefkasten zu befreien. Als sie allerdings zurückkehrte, hatte sich ihr Gesichtsausdruck stark verfinstert, als sie die Briefe durchsah.

Wie so oft bekam sie nur wenig Post. Ihre beiden Mitbewohnerinnen erhielten deutlich mehr Briefe, was Kim sichtlich aufregte. Allerdings wusste ich: Nur ein leerer Briefkasten war ein guter Briefkasten.

„Der ist für Lisa, der ist für Mara, der auch, der ebenso.“ Nacheinander arbeitete sie den Stapel ab und legte sie auf dem Tisch ab. „Mara, Lisa, Lisa, Lisa, Mara und schon wieder Mara.“ Von Brief zu Brief wurde sie monotoner. „Wieso bekommen die immer nur Briefe und ich nie?“

Im Schnelldurchlauf ging sie die Post durch, bis endlich ihr Name im Adressfeld stand.

„Na endlich, da steh ich.“ Als sie allerdings erkannte, worum es sich handelte, war ihre Freude so schnell verflogen, wie sie gekommen war: „Steuern, Steuern, Steuern. Wieso muss man auf alles Steuern zahlen? Selbst auf Steuern muss man Steuern zahlen!“, fluchte Kim ungehalten. Frustriert zerriss sie den Brief vom Finanzamt – ungelesen. „Uh, das tat gut. Einer weniger!“

„Kim, das löst leider nicht das Problem“, teilte ich ihr als persönliche Seelsorgerin und Finanzberaterin mit, die obendrein rein zufällig auch noch ihre Freundin war, obwohl es in letzter Zeit nicht immer leicht mit ihr gewesen war.

„Pah, als ob die mitbekommen, ob ich einen Brief von denen zerreiße.“ Sie lachte hämisch.

„Das nicht, aber sehr wohl, wenn die kein Geld sehen. Du glaubst gar nicht, wie schnell da jemand von denen vor deiner Tür steht.“

„Meine Güte, wir sind doch nicht mehr im Mittelalter, dass den Leibeigenen die Abgaben entrissen werden. Auch, wenn es sich ab und zu so anfühlt.“ Kim schüttelte den Kopf und blätterte in der Zeitung.

„Nenne es, wie du willst: moderne Sklaverei, Abzocke, Erpressung. Es ist eben ein Rechtsstaat, dem jeder Abgaben zu leisten hat“, klärte ich sie auf. „Ohne funktioniert es leider nicht.“ Natürlich würde ich auch gerne keine Steuern zahlen und mein Bruttoeinkommen ohne Abzüge erhalten. Nur leider war dies nicht möglich.

„Steuer klingt wie teuer. Wie passend.“ Kim lachte auf. „Und dann heißt das auch noch so kundenfreundlich: Netto-Preis. Da ist gar nichts nett dran! Das ist wohl eher der Gemeino-Preis!“ Sie zog die Mundwinkel nach unten. „Steuerhinterziehung!“

„Das machst höchstens du, das Finanzamt wird dir sicherlich kein Geld geben. Die sind zum Einreiben da.“

„Wie soll ich als Schülerin, die in einem anderen Land in einer WG lebt, in der ich Miete zahlen muss, diese Kosten stemmen?“, polterte Kim ungehalten.

„Miete musst du überall zahlen und Steuern sowieso. Nur zahlst du keine Lohnsteuer, wenn du so einen geringen Lohn hast.“ Ich stutzte. „Hast du überhaupt ein Einkommen?“

„Ne, wie denn? Ich bin Schülern!“, wiederholte sie. „Außerdem schreibe ich morgen eine Wirtschaftsarbeit.“ Angewidert verzog die das Gesicht. „Mein einziger Lohn für die Arbeiten ist eine Note – meistens nicht einmal eine gute!“ Ihre Laune war dahin.

Mit einer schnellen Handbewegung fegte Kim die Briefe vom Tisch, die sich in der gesamten Küche verteilten. Auch die Zeitung fiel zu Boden und lag aufgeschlagen da. Kims Blick fiel auf das wöchentliche Kreuzworträtsel, wofür meine Kollegin Anita zuständig war.

Ich löste das Rätsel äußerst gerne, um ihr unter die Nase zu reiben, wie einfach es war. Kim schien allerdings eine andere Lösungsart gefunden zu haben: Anstatt Buchstaben hineinzuschreiben, malte sie jedes Kästchen in einer anderen Farbe aus.

„Was genau machst du?“, wunderte ich mich.

„Ich male es an. Wie jede Woche sind nur die Bilder von diesen doofen Politikern bunt, das Kästchenbild – was auch immer das eigentlich ist – ist wie immer hässlich farblos.“

Fassungslos schaute ich ihr dabei zu. „Du weißt schon, dass das ein Kreuzworträtsel ist. In jedes Kästchen kommt ein Buchstabe hinein.“

„Darf ich mir aussuchen, welchen ich hineinschreibe?“

„Nein, nicht wirklich. Sie sind vorgegeben. Hast du noch nie so ein Rätsel gelöst?“

Kim schüttelte den Kopf.

Augen rollend erklärte ich ihr, wie ein Kreuzworträtsel funktionierte und löste gemeinsam mit ihr mehrere Lücken, um es ihr zu demonstrieren.

„Da male ich es lieber an“, entschied sie und zückte den nächsten Buntstift.

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