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UNO

Kim Posse

Spieleabend! Deine Figur mit der niedrigsten Frustrationstoleranz verliert bei einem Spiel. Was geschieht?

„Ich wünsche mir die Farbe Rot.“ Vera grinste breit und sah mich auffordernd an. „Nun los, nimm die Karten auf. Ich habe eine +4-Wünschekarte gelegt.“

„Das ist nicht fair!“, kreischte ich empört auf. „Wieso muss immer ich diese Strafkarten aufnehmen?“

„Kim, ruhig Blut. Nimm einfach auf und lege eine rote Karte“, sagte Dina, die völlig entspannt dem Geschehen zusah.

Auch Tiago, der gleich neben ihr saß, war wohl die Ruhe in Person.

Zwar liebte ich solche Spieleabende, aber nur, wenn nicht ich andauernd alle Karten aufnehmen musste. Zudem hatten wir etliche Sonderregeln, die mich regelrecht zum Verzweifeln brachten. Hier eine Strafkarte, da eine Strafkarte, ständig irgendeine Regel, die wieder neu hinzukam. Dazwischenwerfen, die 7er-Regel und die Rot-Regel.

„Nein, ich verlängere einfach!“ Grinsend legte ich ebenfalls eine +4-Wünschekarte.

„Kim, das geht nicht. Schwarz auf Schwarz ist nicht zulässig.“ Tiago pflückte meine Karte wieder vom Stapel und schob sie mir hin.

„Das gibt es doch nicht! Schwarz auf Schwarz geht nicht“, äffte ich ihn genervt nach. Ich nahm schließlich die gelegte Karte zurück und vier weitere vom Nachziehstapel auf, doch auch danach hatte ich noch keine rote Karte auf der Hand.

„Wenn du nicht kannst, musst du noch eine Karte aufnehmen“, teilte mir Vera mit.

„Wieso das schon wieder?“

„Die +4 sind Strafkarten. Wenn du nicht kannst, musst du dennoch eine Karte ziehen.“ Vera fächerte sich mit ihren wenigen Karten Luft zu.

Eingeschnappt zog ich noch eine Karte nach. Natürlich: Blau!

„Ich kann nicht!“

Nach mir war Dina an der Reihe. Sie legte eine +2 in rot. Schadenfroh legte Tiago ebenfalls eine +2 in grün darauf.

„He, du musst erst aufnehmen!“, ging ich dazwischen. „Es wird nicht geschummelt!“

„Ich schummle nicht. +2-Karten kann man verlängern, mit jeder beliebigen Farbe“, teilte er mir mit. „Es muss nur das Symbol übereinstimmen. Vera, du bist dran.“

„Kim, ich hoffe, du hast auch eine“, meinte sie und legte eine +2 in gelb.

Natürlich hatte ich keine. Voller Frust nahm ich also meine sechs Strafkarten auf. Nun konnte ich meine +4-Wünschekarte legen. „Ich wünsche mir Blau.“

Kommentarlos nahm Dina vier Karten auf und legte eine blaue. Doch bereits bei Tiago änderte sich wieder die Farbe. Als ich wieder an der Reihe war, lag Grün.

„Na super! Wieso kommt meine Farbe nie bei mir an?“, motzte ich.

„Kim, finde dich damit ab. So ist es eben“, meinte Dina gelassen.

Ich zog also eine Karte nach, die zum Glück grün war. Diese legte ich sofort. Die Runde ging weiter und die Farbe wechselte tatsächlich wieder zu blau. Voller Freude griff ich bereits nach meiner blauen Karte, da ich mir diese Farbe gewünscht hatte.

Vera legte eine blaue 3. Gerade wollte ich selbst legen, als Tiago schnell eine Karte legte.

„He, ich bin dran!“

„Dazwischengeworfen“, lachte er. „Gleiche Farbe, gleiche Zahl.“

„Da hat er recht“, stimmte ihm Dina zu. „Eine blaue 3 auf eine blaue 3 ist möglich.“

„Na danke! Verschwört euch doch gegen mich! Also los, Vera, du bist dran. Worauf wartest du noch?“ Grimmig blickte ich sie an und hoffte, dass Vera wieder eine blaue Karte legte. So bestand zumindest noch die Möglichkeit, meine blaue Karte abzulegen.

„Achtung!“ Vera legte – eine blaue 7.

Schlagartig klappten alle wie auf Kommando ihre Karten nach unten und legten sie verkehrt herum auf den Tisch.

„Was ist jetzt los?“ Verdattert schaute ich ihnen dabei zu.

„Die 7er-Regel. Wenn eine 7 liegt, egal welche Farbe, müssen alle ihre Karten schnellstmöglich auf den Tisch legen“, klärte mich Vera auf. „Der letzte muss …“

„… eine Strafkarte nehmen“, beendete ich den Satz. „War ja klar. Natürlich trifft es wieder mich!“ Während ich allen böse Blicke zuwarf, zog ich eine Karte nach. Der Fächer auf meiner Hand wuchs von Runde zu Runde. Und wenn ich einmal an die Reihe kam, wurde ich entweder übersprungen oder ich konnte nicht.

Glücklicherweise lag die Farbe Blau und ich konnte legen. Auch in der nächsten Runde lag noch Blau, doch Vera legte eine Aussetzen-Karte. So konnte ich doch nicht legen.

„Sieh es positiv. So musst du zumindest nicht aufnehmen“, munterte mich Dina halbherzig auf.

„So kann ich aber auch nicht legen!“

„Aber jetzt wieder.“ Dina legte eine Karte mit zwei Pfeilen darauf, die einen halbrunden Kreis bildeten: Richtungswechsel.

„Immerhin!“, freute ich mich. Da ich allerdings keinerlei Sonderkarten mehr hatte, legte ich wieder eine blaue Karte.

Vera legte ebenfalls Blau. „UNO!“

„Was schon?“, stutzte ich. „Wir müssen dringend was machen!“

„Ihr habt keine Chance“, lachte Vera.

„Das denkst auch nur du!“ Tiago grinste breit über das ganze Gesicht und legte auf die blaue 5 zwei grüne 5er. „UNO UNO! Ich habe gewonnen!“

„Nein! Das geht so nicht!“, konterte ich sofort.

„Ich habe dazwischengeworfen.“

„Aber es lag eine blaue 5.“

„Das schon, aber ich habe darauf – ich war ja an der Reihe – eine grüne 5 gelegt und mir praktisch selbst dazwischengeworfen.“

„Na super! Freue dich doch!“, keifte ich und warf entrüstet meine Karten quer über den Tisch. „Ich spiele nie wieder mit euch dieses beschissene Spiel. Ich hasse UNO!“

„Kim, nun spiele dich nicht wie ein Kleinkind auf. Es ist bloß ein Spiel.“ Vera streichelte mir beruhigend den Arm, doch ich stieß sie weg.

„Dann bin ich eben noch ein Kind!“, brüllte ich.

„Schade, dass die Rot-Regel nicht zum Einsatz kam“, fand Dina.

„Wieso? Was muss man da schon wieder machen? Anders gefragt: Wie viele Karten muss ich da wieder aufnehmen?“

„Bei Rot darf man nicht sprechen. Für jedes gesagte Wort muss man eine Strafkarte ziehen“, teilte mir Tiago mit.

„Das hättest du wohl gerne. Diese bekloppte Regel könnt ihr selbst machen. Schweigt euch doch an, aber ohne mich! Ich bin raus! Endgültig! Fragt mich nie wieder, ob ich an einem eurer beschissenen Spiele-Abende dabei sein will. Das will ich nämlich nicht – nie mehr! Ich hasse euch!“, wetterte ich los. Mein Kopf brummte und ich wusste kaum noch, was ich sagte.

„Kim, komm erst einmal wieder runter. Das hast du letzte Woche auch gesagt“, beschwichtigte mich Vera.

„Und die Woche davor, wie auch die Woche davor“, fügte Dina hinzu.

„Ihr könnt mich mal gerne haben! Ich steige aus! Ich gehe!“

„Bis nächste Woche, Kim!“, rief mir Tiago noch hinterher.

„Nein!“ Ohne die Schuhe richtig anzuziehen, stürmte ich in den Gang und warf die Tür hinter mir krachend ins Schloss.

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