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Vagón sin conductor

Dina Noche Prudencio

Ein Bollerwagen bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit einen Abhang hinunter. Eine steile Klippe ist nah. Was tut deine mutigste Figur?

Ungebremst bretterte ein führerloser Bollerwagen den kleinen Abhang hinab – direkt auf uns zu. Da nahm „Da kommt was Großes auf uns zu“ mit einem Mal eine ganz andere Bedeutung an.

„Dina, was sollen wir tun?“ Mit vor Angst verzerrtem Gesicht krallte sich Kim in meinen Oberarm.

„Au! … Ausweichen!“, rief ich auf, doch als mir schlagartig bewusst wurde, dass nur wenige Meter hinter uns eine Klippe klaffte, warf ich diesen Plan sofort wieder über den Haufen. „Nein! Wir müssen ihn irgendwie stoppen!“

„Und wie sollen wir das bitte machen? Sollen wir uns etwa davor werfen? Hast du einen Plan?“ Kim blickte mich panisch an. Ich nickte bloß.

„Wir sollen uns davor werfen?“ Ihre Gesichtszüge entgleisten.

„Natürlich nicht. Ich habe einen Plan!“

„Oh, und wie sieht der aus?“

„Schnell, hilf mir! Wir häufen Äste und Blätter hier auf. Das sollte genügen, um ihn zu bremsen.“ Ich riss mich von Kim los und setzte mein Vorhaben augenblicklich in die Tat um. Nach kurzer Zeit half auch endlich Kim.

Rasch wuchs ein kleiner Berg heran, der in der Lage sein sollte, den Wagen zu stoppen. Ein Blick auf das ungebremste Gefährt zeigte mir, dass er direkt auf den Haufen fuhr. Perfekt!

Im nächsten Moment stoben auch schon die Blätter auseinander, Stöcke krachten und der Wagen kam klappernd zum Stehen. Kim sprang geistesgegenwärtig auf die Seite und hielt sich die Augen zu.

„Stoooop! Bitte haltet den Wagen an!“ Eine junge Frau kam den Hügel hinuntergerannt. Sie war aufgelöst und ihr Gesicht tränenüberströmt. Als sie bei uns und dem Wagen ankam, schlug sie sich die Hände vor den Mund und schluchzte.

Erst jetzt wagte ich einen Blick in den Wagen hinein: Ein kleines Kind blickte mir ängstlich entgegen. Fest an sich gepresst hielt es einen kleinen Hund, der kläglich fiepte. Doch als er die Frau entdeckte, schwänzelte er freudig.

„Micky, Ben. Ich bin ja so froh. Euch ist nichts passiert.“ Sie nahm ihren Sohn auf den Arm und den Hund auf die andere Seite. „Vielen Dank. Der Wagen ist einfach davon­gerollt.“ Dann brach sie in Tränen aus. „Ich dachte, mein Kind würde …“ Die Erleichterung war ihr deutlich anzusehen.

„Es … ist ja nochmal gutgegangen“, meinte ich und lächelte.

„Das entschuldigt es aber nicht, dass mein Kind …“, setzte sie an, doch ihr versagte die Stimme.

„Sie sollten in Zukunft besser aufpassen“, riet ich ihr überflüssigerweise.

„Das werde ich. Darauf können Sie sich verlassen.“

Langsam kam nun Kim von der Seite angelaufen und besah sich die Situation. Als sie den Bollerwagen erblickte, hellte sich ihr Gesicht auf. „Es hat funktioniert, Dina! Wir haben es geschafft!“

„Es ist noch einmal alles gut gegangen!“, nickte ich und war selbst mehr als erleichtert, dass mein spontaner Plan so gut geklappt hatte. Letztlich war es die pure Hoffnung gewesen, denn etwas anderes hätte ich nicht tun können.

Die Freudentränen der überglücklichen Mutter ließen auch mich fast weinen. Es war rührend, wie sie sich um ihr Kind und den Welpen kümmerte. Sicher verzieh sie sich – obwohl es doch gut ausgegangen war – diese Fahrlässigkeit nie im Leben. Ich musste an meine eigene Hündin denken (Kinder hatte ich noch keine). Für mich wäre es unverzeihlich, wenn Luna etwas zustoßen würde.

„Kim, komm“, flüsterte ich ihr zu und wir ließen die Frau allein.

„Bin schon da“, meinte Kim und stolperte hinter mir her. „Wollen wir die Blätter nicht wieder aufräumen?“

„Das kannst du gerne machen, aber ich habe für heute genug getan“, gestand ich. Das sollte schön die Mutter machen. Sie hatte sich all das schließlich selbst eingebrockt.

„Nein.“ Kim druckste herum. „Dann … dann bleibt es eben liegen“, murrte sie. „Wie kam es eigentlich dazu, dass dieser Bollerwagen den Abhang hinuntergerollt ist?“

„Weiß ich doch nicht. Die Mutter war unachtsam, der Wagen rollt los und schon ist es passiert. Solche Sachen können manchmal sehr schnell gehen!“

„Das klingt plausibel. Meine Mum hat mich auch einmal verloren und ich wäre fast aus dem Wagen gefallen. Aber zum Glück hat mich ein Mann aufgefangen und mich zurückgegeben. Meine Mum meinte, dass sie mich nicht mehr unter Kontrolle gehabt hätte, da ich bereits als Kleinkind gerne abgehauen bin.“ Kim runzelte die Stirn. „Dabei konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal laufen.“

„Mach dir darüber keine Gedanken, Kim“, riet ich ihr. „Deine Mum ist in Rochester und du bist hier. Also vergiss, was sie dir erzählt hat und schau nach vorn.“

„Du hast recht.“ Kim hakte sich bei mir unter und gemeinsam trabten wir durch den Park.

Führerlose Bollerwägen kamen uns zum Glück nicht mehr entgegen, aber einige Radfahrer, die den gesamten Weg für sich in Anspruch nahmen, rammten uns fast. Ansonsten verlief dieser Tag so ruhig wie immer. Keine weiteren Vorkommnisse brachen die Ruhe. Nur glückliches Kinderlachen und das Rauschen des nahegelegenen Bachs waren zu hören. Was für ein schöner Tag heute doch war!

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